Charon / Schierling
Hannover – 26.02.2006
(Bericht und Fotos von Wiebke)
Es ist ein kalter Sonntagabend, an dem
ich gen Hannover aufbreche, um mir Schierling und vor allem Charon anzusehen,
die sich seit 2002 endlich mal wieder ein Stelldichein in Deutschland geben. Vor
der Warenannahme wartet schon eine Freundin auf mich, und es bleibt auch noch
genügend Zeit für eine Bionade (die Ingwerbrause ist wirklich gut) im
vorgelagerten Café Siesta.
Aus dem Konzertraum hört man schon ein paar Gitarrenklänge, da
eine der beiden Bands noch mit dem Soundcheck beschäftigt ist. Dann aber wird
die Glastür geöffnet, und die vornehmlich weiblichen, hübsch gekleideten
Besucher strömen in den Saal, der mit seinen Sesselreihen wie eine Mixtur aus
altem Kino und Theater anmutet und auf einige Ortsunkundige augenscheinlich
ziemlich befremdlich wirkt. Da es aber noch nicht sofort losgeht, suchen sich
die meisten ein Plätzchen oder schauen im Vorraum am Merchandisestand vorbei,
an dem es neben den üblichen Shirts auch ein paar kuriosere Dinge zu erstehen
gibt.
Dann wird es dunkel, und die Lokalmatadoren Schierling marschieren unisono mit roten Longsleeves und schwarzen
Shirts darüber bekleidet auf die Bühne. Da ich die Hörbeispiele auf ihrer
Homepage nicht ganz so überzeugend fand, bin ich jetzt umso neugieriger, was
mich wohl erwartet. Man merkt schon, dass hier noch keine Profis am Werk sind,
da die Jungs doch ein bisschen aufgeregt scheinen, aber das wird mit Spaß an
der Sache und einer Unmenge an Spielfreude mehr als kompensiert. Bassist Gerrit
schüttelt entfesselt sein Haupthaar, während Gitarrist Guiseppe konzentriert
seine Gitarrenläufe runterzockt. Sänger/Gitarrist Chris schreit und singt sich
durch seine Texte, haut aber das eine oder andere Mal in der Tonlage ein
bisschen daneben. Bei einigen Passagen erhält er von Gerrit Unterstützung, der
eine sehr warme Stimme hat, die ein gehöriges Gänsehautpotential besitzt.
Der Vergleich mit In Flames hat meiner
Meinung nach zwar nicht wirklich Bestand, aber in punkto Gitarrenarbeit brauchen
sich Schierling nicht hinter den
Schweden zu verstecken. Die super eingängigen, zu Ende gedachten, zweistimmigen
Gitarrenläufe reißen einen unweigerlich mit und animieren den ein anderen in
der ersten Reihe zu wilden Verrenkungen. Dennoch bleibt der Platz vor der Bühne
während der gesamten Spielzeit ziemlich leer, da den Gothics unter den
Besuchern dieser Mischmasch aus Rock und modernem Metal anscheinend doch nicht
so liegt. Das ist schon schade, denn der Vierer, dessen Schlagzeuger Max heute
Abend seinen Live-Einstand gibt, hätte durchaus noch positivere Resonanzen
verdient. Aber die Jungs sehen das locker, denn wie sagte Chris schon in seiner
Begrüßung: „Hi, wir sind Schierling und heute Abend hier, um euch für
Charon aufzuwärmen!“
Setlist: Morpheus – Stopp den
Wahnsinn – Allein zu zweit – Stille Momente – Angst – Vorwärts nach zurück
– „Neues Lied“ – 17C
Nach einer zackigen Umbaupause wird die Bühne zugenebelt, und sofort drängeln sich die Damen mittig in der ersten Reihe. Ob das am Frontmann liegt, der jetzt unter großem Applaus die Bühne betritt? Könnte schon sein, denn Juha-Pekka (J-P) verfügt über so einige Attribute, die manches Herz höher schlagen lassen: Attraktivität, charmantes Lächeln und eine angenehme Stimme, die von sanft bis rockig-aggressiv alles hinbekommt. Doch in den Genuss dieser Stimme kommt man zunächst noch nicht, da das Mikrophon erstmal den Dienst versagt. Es ist schon ein komischer Anblick ihn singen zu sehen aber nicht zu hören. Er scheint auch erst überrascht, schnappt sich dann einfach das Mikrophon von Gitarrist Lauri, während die Band einfach das Anfangsriff wiederholt bis das Problem gelöst ist, so dass J-P dann leicht seinen Einstieg in den Song „Colder“ findet.
Danach offenbart sich sogleich, dass J-P nicht dem Klischee des schweigsamen Finnen entspricht. Er freut sich darüber, dass an einem Sonntag so viele Leute gekommen sind, denn in Finnland sieht das wohl anders aus. Da müssen Konzerte zum Anfang des Wochenendes stattfinden, weil sich die Leute dabei gerne hemmungslos betrinken. Das ist der zweite Punkt, der ihn freut, dass die Fans hier auch vom Konzert etwas mitbekommen. Weiter geht es mit „Bullet“, ebenfalls vom aktuellen Album „Songs For The Sinners“, bei dem J-P seine stimmlichen Qualitäten voll ausspielen kann. Denn in diesem Song sind von zart über dramatisch bis rockig alle Gesangsvarianten vertreten. Auch die Gitarristen Lauri und Pasi drehen nun voll auf, so dass es ordentlich rockt, obwohl sich Charon im Laufe ihrer Entwicklung doch deutlich von ihren Metalwurzeln entfernt haben.
Mein erstes Highlight ist „Four Seasons Rush“ von Album Nummer 2 „Tearstained“, das von J-P mit ausschweifenden Worten als ein Song, den er besonders liebt, angekündigt wird. Bassist Teemu verdreht derweil ein wenig die Augen, vielleicht dauert ihm das bisweilen alles schon zu lange…mir ehrlich gesagt auch. Aber in den folgenden Minuten werde ich wahrlich entschädigt, denn dieser Song beginnt ruhig, um dann im Refrain ordentlich an Dramatik zuzulegen, wobei man zu den wuchtigen Gitarrenriffs auch gut die Haare schütteln könnte, was außer J-P aber leider irgendwie niemand tut. Es geht munter weiter, und vor „Sister Misery“ stimmt man kurz „Holy Diver“ von Dio an. Spaß muss sein. Und den haben Charon und das Publikum definitiv, denn jeder Song wird begeistert bejubelt. Das dann folgende „Little Angel“ ist einer der Abräumer des Abends schlechthin, da J-P in den Refrains einfach aussetzt und die Fans den Gesang übernehmen, was sich gar nicht schlecht anhört, ehe es danach auf die Zielgerade geht.
Nachdem das reguläre Set mit „Deep Water“ einen rockigen Ausklang gefunden hat, verlassen die fünf Finnen unter lautem Beifall die Bühne und lassen das Publikum erstmal ein bisschen schmoren. Da der Beifall und die Zugaberufe aber (natürlich) nicht abebben, kommt Pasi als erster zurück auf die dunkle, vernebelte Bühne und greift in die Saiten. Und hey, was bekommen meine Ohren da zu hören? AC/DC! Genauer gesagt das Anfangsriff von “Hells Bells”. Eigentlich bin ich schon neugierig, wie sich das wohl im Ganzen anhören würde, aber den Gefallen tun mir Charon leider nicht und leiten über zu “As We Die”, das – zugegeben – auch ein klasse Lied ist. Danach folgt noch „At The End Of Our Day“, bei dem man noch mal ein wenig in Pathos badet, ehe man sich mit „House Of The Silent“ endgültig verabschiedet.
Setlist: Colder – Guilt On Skin – Bullet – If – Bitter Joy – In Trust Of No One – Four Seasons Rush – Ride On Tears – Rain – Desire You – Sister Misery – Little Angel – Come Tonight – Deep Water II As We Die – At The End Of Our Day – House Of The Silent
Danach ist der Abend aber noch nicht zu Ende, da Charon zur öffentlichen After Show Party einladen. Das Wort „Party“ ist in diesem Sinne vielleicht etwas übertrieben, denn es handelt sich vielmehr um eine nette Plauderstunde mit der Band, die – allen voran J-P – Touranekdoten zum Besten gibt, bereitwillig alle hingehaltenen Devotionalien signiert und unermüdlich mit Fans (oder auch alleine) für Erinnerungsfotos posiert.