Lost Life, Dryad's Tree, AzaËL, Nebelkrähe

12. Juni 2009

(Bericht: Twilightheart)

Am 12. Juni fand im „Ohrakel“ in Ingolstadt ein kleiner Underground-Metal-Abend statt. Dass sich nicht viele Leute einfanden (höchstens 50 zur besten Zeit, wobei einige davon sicher Bandmitglieder bzw. deren Gäste waren), mag vielleicht an fehlender Werbung oder der Tatsache gelegen haben, dass Ingolstadt immer noch eine der Metal-unfreundlichsten Städte Deutschlands ist. Andererseits rankten sich aber auch bizarre Gerüchte darum, dass eine andere Band aus Ingolstadt den Abend boykottiert hätte und alle Bekannten gebeten hätte, nicht zu kommen, weil sie mit einer der auftretenden Bands im Klinch liegen. Gibt es wirklich soviel Unkollegialität im Metal? Zerstören wir den Underground durch solche Aktionen jetzt schon selbst und tun denen, die uns/die Metaller verabscheuen, damit auch noch einen Gefallen? Ist es wirklich schon so weit? Beteiligte dürfen mir gerne eine E-Mail dazu schreiben, mich interessiert die Story aus Sicht der Gegenseite wirklich brennend...

Doch zurück zum Abend. Es eröffnete die beste Band des Abends: Nebelkrähe aus Bayern. Diese haben gerade erst ihr Debüt „Entfremdet“ veröffentlicht und fast noch nirgends gespielt, insofern kennt sie sicher kaum jemand von euch. Sie spielen Black Metal der anderen Art mit deutschen Texten (die sehr episch sind). Neben der extrovertierten, progressiven und manchmal sehr abstrakten Musik haben Nebelkrähe einen entscheidenden Vorteil gegenüber all den vielen anderen Newcomer-Bands der Gegend: ihren Sänger „umbrA“ (auch bekannt als Jasper Werhahn, den viele Österreicher vielleicht von Atrorum oder Sternenstaub kennen). Er ist der mit Abstand charismatischste Sänger, den ich seit langem auf München’s Underground-Bühnen gesehen habe (und die Band hatte riesen Glück, ihn zu „bekommen“, weil er einfach mal wieder Lust auf Black Metal hatte und scheinbar bereit ist, sich mit der Band noch’mal ganz von unten hochzuarbeiten).  Allein seine selbstbewusste Erscheinung hinterlässt einen gewissen Eindruck. Doch vollends gebannt schaut und hört man spätestens hin, wenn er seine Stimme erhebt und zu den auf extravagantem Songwriting basierenden Liedern mal growlt, mal röhrt, presst, faucht oder einfach nur klar aber hingebungsvoll singt. Natürlich bedarf diese Musik einer gewissen Gewöhnungszeit, aber der Kenner wird alsbald feststellen, dass es sich lohnt, sich der Musik einfach mal hinzugeben. Es eröffnen sich hierin durchaus neue Aspekte des Black Metal. Individualität wird bei Nebelkrähe großgeschrieben und ich denke, die Band ist die geborene Live-Band, auch wenn außer Gitarrist Morg und Sänger umbrA die anderen Musiker noch zu sehr auf ihre Instrumente konzentriert sind und visuell nichts zur Show beitragen können (außer natürlich misanthropische Mimik). 6 Songs ihres Debüt-Albums gab die Band zum besten: Über den Fluss hinweg, Mein ungleich' Ebenbild, Lichtbringer, Als meine Augen ich aufschlug..., Blick vom Ebenholzturm und Et in Arcadia Ego, und schon war die dreiviertel Stunde Spielzeit um. 
Natürlich war der Applaus spärlich (noch waren nicht alle 50 Leute anwesend) und ich bildete mir ein, in den Gesichtern des ein oder anderen Musikers pure Enttäuschung darüber zu erkennen, dass hier der Kunst nicht genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Hey... falls das tröstet: auch Bands wie Naglfar haben ihre ersten Gigs vor 10 Leuten gespielt. 

Bei der nächsten Band, Azaël, hätte man meinen können, man wird total verarscht. Der Sänger/Gitarrist kam mit Kunstblut „dekoriert“ (was allerdings aussah, wie Erdbeergelee) auf die Bühne und der Bassist hatte Rastas und keltisches Wedding-Paint im Gesicht und die Lippen wie der Joker bemalt. Dazu gab’s noch einen Schlagzeuger und das war's (es klang also alles etwas dünn). Na ja, zumindest hatte die Musik etwas Dynamisches, Straightes, zu dem man durchaus headbängen konnte, wenn man wollte, und der ein oder andere Besucher ließ sich davon auch wieder zurück vor die Bühne locken. Der Drummer durfte gleich beim ersten Song ein Solo spielen, was er mit Bravour meisterte. Der Vokalist dagegen meinte öfters mal, kleine Stories zwischen den Songs erzählen zu müssen. Nun ja, zumindest kann man ihm eines nicht absprechen: er war sehr agil und hat sich bemüht, für Unterhaltung zu sorgen. 
Vielleicht war es einfach der Gegensatz (zuerst Nebelkrähe mit ihrem anspruchsvollen Stoff, und dann das Show-Gehabe von Aza
ël) die dafür sorgten, dass ich keine Begeisterung für diese Band entwickeln konnte. Aber zum Glück sind Geschmäcker verschieden. 

Etwas Unmut machte sich breit, weil Dryad’s Tree unglaublich lange soundcheckten. Viele Besucher waren der Meinung, dies sei bei so wenigen Besuchern nicht nötig, man sollte viel eher die Zeit nutzen, um am Ende noch ein paar Songs dranzuhängen. 
Trotz des langen Soundchecks war der Sound nicht allzu rosig. Zwar wurden später bei den schnelleren Stücken allein durch Tempo und Lautstärke viele eigenartige Klänge einfach übertönt, aber besonders am Anfang konnten sich schon’mal die Nackenhaare aufstellen. Vor allem das Keyboard klang scheußlich, auch wenn es von keinem Geringerem als Jasper Werhahn bedient wurde. Insofern war ich immer froh, wenn die beiden Gitarren und der Bass sich brachial dazwischenschoben und die Oberhand gewannen, so dass annehmbarer, headbangtauglicher, progressiver Metal hörbar war. Was allerdings von Anfang bis Ende gut klang, war das Schlagzeug. Sehr routiniert und mitreißend gespielt. Auch die anfangs etwas wackligen Vocals gewannen sehr bald an Stärke und waren alsbald leidenschaftlich und hingebungsvoll, was zur Folge hatte, dass die Band weitaus mehr Applaus bekam als die Bands zuvor. Dryad’s Tree spielten: City of eyes, The swarm, Captured in perplexity, Fading sorrow, Disdream und Life, wobei einige Songs neu waren (z.B. The Swarm). Da neben den melodischen Passagen auch viele heavy Riffs und knifflige Passagen dabei waren, hatten die Fans ihre Freude daran und der Sänger der Band fühlte sich dazu berufen, mit dem Publikum zu scherzen. Alles in allem war es ein guter Gig, was der Schlussapplaus und die Zugaberufe bestätigten.

Auch Lost Life soundcheckten, als würde jetzt der Gig des Jahrhunderts folgen. Leider hatte der Drummer gleich zu Beginn Probleme mit den Monitor-Boxen (es zerfetzte ihm fast die Ohren, wenn ich seine Gesten richtig deutete) und so machte sich gleich erst’mal ein gewisser Unmut breit. Später wurde ein Song sogar mittendrin abgebrochen, „weil es so einfach nicht passt“, um den Sänger zu zitieren. Sie gestanden dann auch, dass sie keine Setliste haben und beratschlagten deshalb nach jedem Song kurz, was sie als nächstes spielen werden. Die Fans fühlten sich sofort animiert, auch was zur Show beizutragen, also wurde erst’mal über Bier geredet oder der Band Ermunterndes zugerufen. Dadurch, dass es während des Gigs immer weniger Fans wurden, wurde die Atmosphäre natürlich immer familiärer und es war am Ende so, dass jeder sich einfach so gab, wie er sich gerade fühlte. So schmiss der Schlagzeuger mal eben mitten in einem Song die Drumsticks weg und ging von der Bühne, weil er die Nase voll hatte. Erst nach einer ganzen Weile kam er zurück und es konnte weitergehen. Von den ganzen Pannen abgesehen, konnte die Band durch ihre routinierten Musiker, die von Haus aus guten Songs und ein gewisses Feuer auf der Bühne trotzdem die Stimmung oben halten. Zu den letzten 20  Fans (von denen 6 oder 7 vor der Bühne richtig Party machten), die nach 24 Uhr noch da waren, meinte Sänger Nephesus am Ende: „Ihr seid das beste Publikum, das ich je bestellt habe“ und nachdem man am Anfang (O-Ton Nephesus) „weniger Gefährliches“ gespielt hatte, ging man für die restlichen Fans noch’mal zu den Nackenbrechern über. Um zwischen den Songs eine Pause für die Musiker zu schaffen, kündigte Nephesus an, jetzt eine Flasche Bier auf Ex auszutrinken, was er natürlich nicht schaffte. Dafür kam dann eine viertel Stunde nach Mitternacht ein (wahrscheinlich) Angestellter des Clubs durch und sammelte leere Bierflaschen ein und nahm der Band auch noch die halbvollen Bierflaschen während des Gigs von der Bühne weg. Dann zählte der Sänger noch’mal die Anwesenden durch, kam auf 15 und meinte: „Ich muss mich korrigieren: ihr seid das langweiligste Publikum, das ich je bestellt habe“, bevor er den letzten Song mit den Worten „Dieses Lied ist pro-saufen und pro-Selbstzerstörung“ ankündigte und noch’mal alle zum headbangen aufforderte. Und siehe da, ein letztes Mal ging tatsächlich noch’mal richtig die Post ab.

Insgesamt war der ganze Abend (der sicher von Anfang an unter keinem guten Stern stand) durch die wenigen Besucher und die dadurch entstandene Stimmung zwar eigenartig, aber auch witzig und einmalig. Bis auf Ausnahmen war es allemal hörenswerte Musik und die Bands haben (wenn auch teils nur durch ihre ureigene Art) für Unterhaltung gesorgt.

 

 

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