Alcest – "Les Voyages De L'Âme"

Prophecy Productions/ VÖ: 6. Januar 2012

„Alcest“ haben mit ihrem dritten Album „Les Voyages De L'Âme“ den Beweis geliefert, wie viel Kreativität in den Köpfen der Herren aus Avignon tatsächlich zu brodeln scheint. Einiges an Emotion und Verständnis für sentimentale Epik wissen die Franzosen in ihre Stücke zu verschachteln und ein jeder Song, der bis jetzt veröffentlicht wurde, lässt die Fans der Musik, die „über den Tellerrand schwappt“, in Verzückung aufgehen. So ist es nicht verwunderlich, dass auch der neue Langspieler „Les Voyages De L'Âme“ nicht nur einen riesengroßen Fundus an verzaubernden Noten, sondern auch eine Vielzahl an Hits mit sich führt und tatsächlich das beste Alcest-Album geworden ist. Hut ab, doch hier erst mal ein Überblick darüber was den Hörer im Einzelnen erwartet:

Alcest kombinieren beim ersten Song "Autre Temps" gekonnt ihre Shoegaze-Fantasien mit rockiger Anathema-Atmosphäre. Die Chorus-Reverb-Gitarren klingen vom ersten Takt an nach dieser meditativen Psychedelic-Stimmung, die ich in dieser intensiven Form außerhalb der französischen Kreativfabrik noch nie vernommen habe. Das seichte Intro, welches nur durch eine vorsichtig zitternde cleane Gitarre und Pads dargestellt wird, tastet sich Saite für Saite an einen treibenden Rhythmus, der sich mit markanten Bass-Licks anfüllt zu einem frischen Opener, der das Album schon ab der ersten Strophe umreißen kann. An sich ist der Song recht unkompliziert strukturiert. Wie ein Pop-Song reiht sich Intro an Strophe an Refrain an Strophe an Refrain und so weiter. Trotzdem bietet sich dem Hörer eine magische Welt. Wieder mal eine Band, die bessere Cinemascope-Bilder erschaffen kann als die besten DOP's dieser Welt. Ein Hoch auf die Fantasie!

Auf dem zweiten Stück „Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles“ wird die schwere Postrock-Schiene mit schwerer Black-Metal- Rhythmusarbeit versehen. Im Midtempo schleicht dieser Schleier stärker und druckvoller als der Opener voran. Mit einem großartigen Bass, gefühlvollen Gesangspassagen der anfangs von reinen Reverbspuren des genialen Black-Metal-Kreischgesangs unterlegt ist und dann, bevor der Song sich zu einer schnellen Blast-Beat-Black- Metal-Passage hochschraubt, in voller Präsenz screamend hervortönt. Neiges Screams sind wie schon auf dem Album „Écailles de Lune“ sehr gefühlvoll und setzen sich klar von den „Jugendsünden“ der Zeit ab, als Alcest noch kreischenden Belanglos-Black-Metal gemacht haben. Da kann man nichts beanstanden. Schnell beruhigt sich der Song wieder, um sich in psychedelischen Akustikpassagen zu verlieren. Einige erwähnenswert gefühlvolle Melodien ziehen nun ihre Aufmerksamkeit auf sich und der Track schwenkt in einen eher meditativen Part über, der für die volle Wirkung aber auch schon wieder zu kurz ist, um die volle Entfaltung entwickeln zu können.

Der Titeltrack „Les Voyages De L'Âme“ beginnt ruhig und entspannt und weist den Weg zu klar definierten Gitarrenriffs mit sanften Leads. Von der Grundstimmung kratzt der Song an das Album „Souvenirs D'un Autre Monde“. Kleine Details sind es hier, die dem Song den Druck geben und Spannung erzeugen. Als der Song in der Mitte verstummt und sich danach "Long- distance- calling"-artig in die Höhe schraubt, erreicht der Song seinen Höhepunkt. Das Finale bildet eine Rhythmik, die finster und geheimnisvoll klingt und den Song zu einem perfekten Meisterwerk macht. Passend dazu reiht sich „Nous sommes l'émeraude“ mit einer geballten Atmosphäre hinter den Titeltrack. Hier bieten sich dem Hörer genial eingesetzte Vocals und grandiose Melodien. Erneut besticht ein Wechsel von ruhiger Strophe zu intensiven Black-Metal-Atmosphären.

„Beings of Light“ ist neben dem Opener ein weiteres unbestrittenes Highlight. Wahnsinn, wie hier aus einem einzelnen Riff, fast schon penetrant ein ganzer Song mit ein bisschen mehr als sechs Minuten Länge bestritten wird. Gebildet aus hoher, kehliger Stimme wird das Grundakkordgericht kredenzt und bereit gelegt für die BM-Komponente. Ein Ohrenschmaus ... und es ist schwer zu begreifen, warum trotz der fadenscheinigen Monotonie keinerlei Langeweile entsteht. Hier wird zum Verweilen und zum Zuhören eingeladen. Bezaubernd.

Danach wird es dafür wieder knackiger. „Faiseurs de Mondes“ prescht härter als die Songs bisher voran. Ein Pondon zu „Percées de lumière“ vom « Écailles de Lune »-Album. Mit großartigen BM-Screams, die von treibender musikalischer Black-Metal-Romantik unterlegt sind, verfügt der Song über emotionale Gewalt und Kraft. Das Wort „episch“, welches oft zu schnell verwendet wird,  drängt sich auf. Das Schlagzeug wird ausnahmsweise wieder schneller, doch wie es für Alcest typisch ist, wird die Bremse sehr schnell gezogen bevor der Song zu rasant wird. Andere Bands würden sich hier in einen Geschwindigkeitsrausch reinsteigern. Die Franzosen spielen hier jedoch mit den Grundakkorden und schlachten diesen erst seicht, dann mit Akustikpassagen und einer phänomenalen Cleangitarre aus, um daraus dann einen wunderschönen Refrain zu kreieren. Danach wird es wieder härter und die Blastbeats dominieren das Klangbild. Dieser Song ist der absolute Beweis für die Macht von Alcest. Selten habe ich so etwas Perfektes gehört.

Das Ende bahnt sich an und bevor uns Alcest entlassen aus ihrer Zauberwelt bringen sie ein ruhiges Zwei-Minuten-Interludium in Form von „Havens“. Die Cleangitarre spricht und zusätzlich fließen noch ein paar gesungene Töne in die Atmosphäre ein. Den Abschluss macht dann „Summer's Glory“. Ein sehr entspanntes Lied, welches aber meiner Meinung nach den einzigen Flop auf dem Album darstellt, denn nach so vielen Meisterwerken wirkt dieser Song lasch und uninspiriert. Trotzdem immer noch ein hervorragender Song, denn gemeckert wird hier auf einem hohen Niveau.

Alcest haben auf diesem Album fast alles richtig gemacht. Sie sind mir zwar ein wenig zu  übervorsichtig mit harten Tönen und ihren Ausbrüchen in die Black-Metal-Landschaft, denn die geballte Macht wie etwa von „Écailles de lune – Part 2“ vermisse ich auf dem ganzen Album. Trotzdem rundet der stete Wechsel zwischen hart und weich das Bild immer noch gut ab. Der Hauptaspekt auf dem Album ist sowieso eher die Atmosphäre. Ein Vergleich mit den französischen Impressionisten des neunzehnten Jahrhunderts lässt sich ziehen. Denn hier wird vermehrt Wert auf das tatsächliche Empfinden gelegt, als auf die starre Ausübung von Regeln und Gesetzen. Das Empfinden von Wirklichkeit wird auf eine emotionale Ebene gehievt. Das ganze wird durch die klare Stimme Neiges und die angesprochenen Wechsel versinnbildlicht. Die klare Shoegaze-Produktion, die noch träumerischer ist als auf dem Vorgänger-Album, gibt dem ganzen zusätzlich einen geheimnisvollen Aspekt. 

Alcest haben tatsächlich ihr bestes Werk abgeliefert. Es birgt fast nur Meisterwerke, die nebenbei auch perfekt nebeneinander harmonieren. Ganz große Kunst! Für Fans von ruhigen Klängen und jeglichen „Post“-Stilrichtungen wärmstens zu empfehlen. 

Anspieltipp: „Faiseurs de Mondes“                                                       Punkte: 9 von 10

Review von Surtr

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