Fäulnis – "Gehirn zwischen Wahn und Sinn"

Karge Welten Kunstverlag/ VÖ: 29. Mai 2009

Manchmal kommt schon wirklich ganz skurrile Musik zum Reviewen in’s Haus, wo man nicht weiß, was man damit anfangen soll. So auch beim Album „Gehirn zwischen Wahn und Sinn“ von der Band Fäulnis. Fakt ist, dieses Album ist nicht Black Metal, wie überall angegeben. Vielleicht Avantgarde oder (wie beim ersten Song) Thrash, mit Anleihen von wie bei Shining ausufernden Sinnes-Eskapaden, aber Black Metal... NEIN! Wahrscheinlich wusste man nur wieder nicht, wo man solch „Wahn und Sinn“ einordnen soll.
Das Album beginnt mit einem Aufschrei am Anfang des ersten Tracks „MorgenGrauen“, der mir ehrlichgesagt zu wirr und thrashig ist... wobei die Musik in mir tatsächlich auch eine Assoziation zum Wort „Morgengrauen“ herstellt, aber mit Sicherheit nicht so, wie es die Künstler gemeint haben, sondern eher so gemäß dem Gefühl, Montag morgens um 5 Uhr aufstehen zu müssen. Genauso unangenehm wie das fühlt sich auch dieser Song an. 

Dem zweiten Song „Angstzustand“ kann ich dann schon eher etwas abgewinnen. Langsam und mit im Hintergrund gefaktem Schreien zieht sich der Song wie ein Kaugummi in die Länge. Leider ohne viel Spektakuläres. Klar, der Grundtenor des Songs an sich (das Langsame, leicht Melancholische bis Angstvolle) an sich hat natürlich eine gewisse Wirkung. Aber wenn ich eben diese Musik in diesem Tempo hören will und dabei an Angst und Kälte denken möchte, gibt es in meinem CD-Regal mindestens 20 CDs, die genau das gleiche transferieren nur mit bei weitem besserem, eingängigerem Songwriting und viel mehr Emotionen (Ekove Efrits, die alten Shining usw.). 
Im dritten Track „Weiße Wände“ klingt es erstmals wirklich nach Metal. Es wird in tiefer Stimmlage gegrowlt, bevor sich eine mittlere Schreistimme hinzugesellt (in diesem Fall wohl eher „Ruf-Stimme“). Der Song ist nach dem abwechslungsreichen Anfang leider etwas zu eintönig, wobei einige Gitarrenriffs hier durchaus zu gefallen wissen, solange der Gesang nicht dabei „stört“. Das Ende hingegen ist kreativ. Immer wieder denkt man, ein neues Song hat begonnen, doch dann fällt man zurück in eine Geräuschkulisse, z.B. hört man, wie sich jemand wahrscheinlich ein paar bewusstseinserweiternde und am Ende vielleicht tödliche Pillen einwirft. Dann wieder Leere und erneut der Beinahe-Beginn eines neuen Abschnitts, bis es dann doch in den vierten Track „Kopfkrieg“ übergeht. 
Insgesamt beinhaltet das Album 8 Tracks dieser Art, jeder etwas anders, aber in der Gesamtheit natürlich vor allem depressiv und schwer verdaulich.

Wo ich allerdings vollstes Lob verteilen muss, ist bei der Idee, die hinter den Lyrics steckt. Man zeigt die schmutzigen, anwidernden Seiten und das Leben einer Stadt auf (eventuell von Hamburg, der Heimatstadt der Band?). Es wird beschrieben, wie vergiftet und leblos alles erscheint bzw. zeichnet Szenen von Menschen, die Anteil am Geschehen in eben dieser Stadt haben (bzw. auch nur durch ödes Siechtum Aufmerksamkeit auf sich ziehen bzw. Ekel erregen). Auch lässt der Texter natürlich Anteil an seinen eigenen Empfindungen zu all den Schilderungen haben, die alle Schattierungen der Depression bis hin zum Wahnsinn zu durchlaufen scheinen. Alle Texte sind auf deutsch geschrieben, was dem Ganzen natürlich eine besondere Note verleiht, denn Musik dieser Art gibt es inzwischen häufig, aber das Ganze mit deutschen Lyrics ist wohl doch eher selten. Die Worte sind aneinandergereiht, wie sie wohl empfunden wurden in dem Moment, den die niedergeschriebenen Lyrics festhalten sollen, aber große Kunst ist dabei nicht herausgekommen. Muss wahrscheinlich auch nicht sein, wenn man einfach nur die Tristesse des Lebens beschreiben will... dafür eignen sich einfache, unmissverständliche Worte vielleicht doch am besten. 
Was der Stimmung in den Songs meiner Meinung nach immer wieder am meisten dient, sind die Schreie im Hintergrund (obwohl ich diese als zu gefakt empfinde, ein wirkliches Mitempfinden kommt hierbei in mir nicht auf), die oftmals langsameren, schleppenden Passagen und die häufig eingeschobenen Ideen wie Gesprochenes oder Geräusche, die man nicht sofort einordnen kann und die dann eben avantgardistisch bzw. wahlweise befremdlich wirken. Aber wie bereits gesagt, ist all das musikalisch bereits bei anderen Bands schon dagewesen, nur in viel intensiverer Form. Wer allerdings vom „von der Welt total angewidert sein“-Feeling nicht genug bekommen kann und ständig Nachschub braucht, findet hier vielleicht etwas Brauchbares für seine Sammlung. 

Ich weiß wirklich nicht, was es genau ist, was mich davon abhält, dieses Album zu mögen, obwohl es eigentlich eine gute Idee umsetzt (wenn auch mit klanglich nicht ganz ausgefeilten Mitteln) und viele Emotionen zu channeln scheint. Ich habe einfach das Gefühl, dass das alles zu „erdacht“ ist und nicht wirklich „erfühlt“. Denn es klingt irgendwie so aufgesetzt, wie inszeniert oder nach Konzept zurechtgezimmert. Aber ein ganz echtes Gefühl, was total packend und faszinierend ist, fehlt hier einfach. In dem Moment, wo man das Album hört, wird man schon gut unterhalten und findet die ein- oder andere Idee klasse. Aber es hat keine große Nachwirkung... irgendwas, was man unbedingt gleich noch’mal hören will. Wirklich ein ganz schwieriger Fall, diese Kreation!
Ich möchte bloß nochmals darauf hinweisen, dass echte Black-Metal-Fans sich nicht von falscher Werbung täuschen lassen sollen, denn mit BM im klassischen Sinne hat es nichts zu tun. Ich hätte das Album im Musikladen jetzt eher in die Sparte „Indie“,  „Avantgarde“ oder „Experimental“ gestellt. Freigeistern sollte es aber allemal ein Reinhören wert sein! 

Anspieltipp: "Angstzustand"                                                                                  Punkte: 5,5 von 10

Review von Twilightheart

 

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