Ignis Fatuu – "Neue Ufer"

Trollzorn/ VÖ: 1. April 2011 (hoffentlich kein Aprilscherz)

Die Mittelalter-Rocker von Ignis Fatuu haben wieder zugeschlagen. Nachdem bereits ihr erstes Album im Jahr 2009 voll eingeschlagen hat, schieben die Spielleute nun ihr neuestes Werk „Neue Ufer“ nach.

Lebensfroh und rockig geht es los. Flöten und ansteckenden Gitarrenriffs gewinnen sofort die Oberhand. Enthusiastischer Klargesang vom männlichen Sänger Alexander und dazu romantischer Begleitgesang der Sängerin Irene mit elfengleicher Stimme runden das ganze ab. Die Lyrics sind einwandfrei zu verstehen, mit Sicherheit geht es bei Live-Gigs der Band ordentlich ab und die Fans singen lauthals mit, zumal die Texte so einfach sind, dass man sie wahrscheinlich an einem Tag auswendig lernen kann. In diesem Song ist es beinahe schade, dass die Dame nicht auch mal alleine singt (bzw. überhaupt, dass man sie in den folgenden Songs der ersten Albumhälfte nicht mehr oft hört), klingt es doch wirklich faszinierend. Ihre Stimme ist schon deshalb angenehm, weil sie erstens eine nicht alltägliche Klangfarbe und somit eigenen Charakter hat, und zweitens zwar hoch aber nicht so eine Pieps-Stimme ist wie von manchen Frauen, die in gewissen anderen Bands wahrscheinlich nur Mitglied sind, weil sie gut aussehen, nicht weil sie singen können... aber wie gesagt, bei Ignis Fatuus Irene ist dies definitiv nicht der Fall (wobei ich davon ausgehe, dass es live dann genauso klingen würde). Ein Manko des Lieds ist allerdings, dass er zwar als Opener richtig frisch und ansteckend gehalten ist, aber bis auf die lebhafte Flötenmelodie und die rockigen Gitarren nichts anderes Überraschendes zu bieten hat.

„Spiel des Lebens“ beginnt mit einigen besinnlichen Worten, wird dann gleich wieder sehr rockig. Durch den erneuten Einsatz der Flöte und anderer herkömmlicher Instrumente hat der Song etwas Folkiges, aber wenn man rein auf Melodie achtet und darauf, wie Gitarre/Bass und Gesang eingesetzt sind, muss man sagen, dass der Song fast Pop-Qualitäten hat (wobei das für die Band jetzt wahrscheinlich kein Kompliment darstellt). Die Geige macht gegen Ende des Lieds dann zumindest wieder einen Unterschied, der einen das Mainstreamige wieder vergessen lässt. 

Der dritte Song hält eine Überraschung bereit, ist der Gesang doch sehr tief und affektiert, und die Gitarren und der Bass sind sehr abgehackt und heavy, was dieser Komposition eine ungewohnte Schattierung gibt. „Scherenschritte“ heißt er und der Titel ist Programm. Die Medieval-Instrumente spielen hierzu wilde Begleitmelodien. In Kombination mit der Tatsache, dass der Song sehr kurz und prägnant ist, überrollt er den Hörer förmlich, bevor dieser weiß, was los ist, wird aber eben wegen dieser geradeheraus gebrachten Message viele Anhänger finden.

"Mondnacht" beginnt mit spärlicher Instrumentierung, getragen durch dumpfe Trommeln im Hintergrund. Davor schiebt sich der Gesang, der hier sehr enthusiastisch eingesetzt wird, bevor die selbe Instrumentierung einsetzt wie schon in den Songs zuvor. Die Lyrics ragen hier besonders heraus, sind sehr sehnsuchtsvoll und wahrscheinlich werden sich viele damit identifizieren können. 

„Wörterschmied“ beginnt gekonnterweise mit Schmiedegeräuschen, die zum Takt angebenden Instrument umgewandelt wurden, und mit Dudelsackspiel. Der Gesang weiß, zumindest im Refrain, sehr zu gefallen, zumal er stellenweise ausladend und sehr enthusiastisch ist. Ein Lied für echte Kerle, würde ich sagen.

In „Maskenball“ wird die gesamte Fülle mittelalterlicher Instrumente aufgefahren, die modernen Instrumente verlieren hier zunehmend an Bedeutung. Es geht um einen Mord auf einem (man ahnt es) Maskenball. Endlich gibt’s stellenweise auch wieder Begleitgesang durch eine zweite Stimme. Insgesamt alles sehr unterhaltsam.

Der Titelsong „Neue Ufer“ ist der rasanteste des ganzen Albums. Hier versucht man nicht nur im Text, sondern auch in der Komposition zu neuen Ufern aufzubrechen. Viele Stellen des Lieds sind sehr überraschend und fast experimentell, auch wenn immer wieder ein mittelalterlicher Hauch durchdringt. 

Wunderschön ist der Song „Wenn nicht ich, wer dann“, der sich als romantische Liebesballade entpuppt, in der sich Alexander und Irene mit dem Gesang abwechseln, wobei das Zusammenspiel der beiden wirklich eine fantastische Wirkung hat. Auch sind die Lyrics nicht zu seicht oder aufgesetzt, sondern vermitteln echte Emotionen, die aus dem Leben gegriffen sind. 

Bei „Wahre Schönheit“ geht es dann richtig ab. Die Stimmung steigt. Alles ist reichlicher instrumentiert, besser durchkomponiert als die Vorgänger-Songs, auch hat Irene wieder einen ausgedehnten Gesangspart, der dem Song sehr gut tut.
Warum die Songs im ersten Teil des Albums eher einfach gehalten sind, während man im zweiten Teil dann in die Vollen geht, entzieht sich zwar meinem Verständnis. Aber gut, man kann es auch so sehen: wer die Geduld hat, bis zur Mitte durchzuhalten, ist der wahre Mittelalter-Rock-Fan und wird nun belohnt. ;-) 

„Junge Krieger“ beginnt melancholisch, der Text ist traurig. Zwar wird der Song dann schneller und die Gitarren übertönen die Flöten und Geigen mit Leichtigkeit, aber vom Ernst des Liedes geht dadurch nichts verloren. 
„Albtraum“ ist wieder anders, auch ernst, aber viel aufwühlender in der Melodie und in Form des Gesangs, der im Strophenteil beinahe in Sprechgesang abdriftet. Man spielt hier auch ein wenig mit Disharmonien und sonstigen Effekten, die geeignet sind, eine aufwühlende Albtraum- Stimmung zu erzeugen. 

In „Stille Wasser“ wird es wieder etwas sanfter. Die Flöte eröffnet den Song, später wird es in gewohnter Weise rockiger. Beim Gesang erfreuen uns abwechselnd wieder Männer- und Frauengesang, wobei letzterer den Hörgenuss besonders wertvoll macht. Aber beide Vokalisten gehen hier voll aus sich heraus. Das Schlagzeug im Hintergrund klingt stellenweise etwas unbeholfen, wobei das den meisten aber gar nicht auffallen wird, wird man doch bald schon durch sanfte Flötenklänge besänftigt. Intensiv klingt der Song aus, bevor mit „Hochmut“ auch schon das letzte Lied des Albums beginnt. Noch einmal wird es ansteckend und spannend. Trotz einiger Passagen, in denen die Instrumente zurückgenommen wurden und man sich somit besser auf den gelungenen Text konzentrieren kann, ist dieser Song ein stürmischer Ausklang für dieses Album.

Die Mischung aus Rock und den mittelalterlichen Instrumenten machen die Musik natürlich unheimlich ansteckend. Ein Rockgitarre allein ist ja schon immer sehr zündend, und Folk-Instrumentierung ist, wenn man sich nicht gar zu dämlich anstellt beim spielen, größtenteils auch jederzeit packend, so dass es im Prinzip nicht schwer ist, mit dieser Mischung die Leute zu begeistern.
Aber warum bei „Neue Ufer“ der erste Teil des Albums in allem weniger hermacht als der zweite, bleibt mir ein Rätsel. Erst im zweiten Teil des Albums wird alles hörbar, was die Band draufhat und man merkt den Stücken das Herzblut an. Auch hört man hier viel mehr von den ganzen Instrumenten, derer sich die Band bedient (Schalmeien, Gitarren, Bass, Dudelsack, Geigen, Drehleier, Nyckelharpa, Schlagzeug und verschiedene Percussions) sowie mehr von der weiblichen Lead-Stimme. Selten ging es mir so, dass der erste Teil eines Albums viel weniger Punkte verdient (6,5 von 10) als der zweite (9,5 von 10). Schade eigentlich. An die alten Alben von z.B. Cultus Ferox reicht die Musik von Ignis Fatuu zwar noch lange nicht heran (von den Größen des Genres ganz zu schweigen), aber das Potential ist zweifelsfrei da. Gebt der Band mehr Zeit und Luft, um sich RICHTIG zu entfalten und sie werden uns vielleicht alle noch umhauen in der Zukunft. Bis dahin werden sie sicher trotzdem live bei einschlägigen Festivals mitmischen und ihrer eigenen Gemeinde aus neuen und alten Fans viel Freude, Tanz und im Nachklang Heiserkeit bescheren.

Anspieltip „Wenn nicht ich, wer dann“                                                        8 von 10 Punkten

Review von Twilightheart

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