Misanthrop – "Unkaputtbar"

Eigenproduktion/ VÖ: 26. August 2011

Misanthrop aus München wurden 2005 von Bassist Raphael Roßnagl und Schlagzeuger Michael Schmied gegründet. Komplettiert wurde die Band durch Gitarrist Haris Durakovic und Sänger Robert Bräunig. In dieser Besetzung entstand 2008 die erste Demo „Das große Sterben“. Bevor es zum ersten Auftritt Ende 2008 kam wurde noch Stefan Klement als zweiter Gitarrist hinzugezogen. Im Frühjahr 2009 kam es zu Kontroversen innerhalb der Band. Daraus resultierte dass Misanthrop und Schlagzeuger Schmied von da an getrennte Wege gingen.
Misanthrop konnten sich mit neuem Schlagzeuger Ruben live in München etablieren, bis es Anfang 2010 zu einem erneutem Schlagzeugerausstieg kam. Es sollte circa ein Jahr dauern bis sich mit dem jungen Manuel Fischer Misanthrop erneut komplettieren konnten. In der Zwangspause konnte Gitarrist Haris Durakovic die Zeit kreativ nutzen um bereits geschriebene Songs zu überarbeiten und neues Material zu kreieren. Das neue Werk „Unkaputtbar“ wurde dann in Eigenregie 2011 mit Drumcomputer eingespielt. Seit Juli 2011 steht Misanthrop nun auch wieder auf der Bühne. 

Sehr gespannt ist der Hörer, denn die neuen Tracks sind laut Aussagen der Bandmitglieder nun viel komplexer und vielschichtiger, nach den ersten Live-Eindrücken vor dem Release, sowie durch „Promowerk 2011“ konnte man sich davon schon im Voraus überzeugen.
Was die Brutalität des Songwritings angeht, kann man aber glücklicherweise keinerlei Veränderung feststellen. Der Opener „Madenfraß“ macht keine Gefangenen und erst recht keine Kompromisse. Hier wird ohne großes Brimborium gleich mit voller Wucht und Tempo losgelegt. Ähnlich wie auf der „Where Ironcrosses Grow“ von Dismember wird hier geholzt, um dann im Mittelteil in Satyricon-Riffing überzugehen. Der Refrain besteht aus den schönen Disharmonien und unerwarteten Akkorden, die Misanthrop schon immer gut einzusetzen vermochten. Und ohne große Worte geht es wieder zurück in die geholzten Strophen. Schöner Track, aber mehr als die Kompromisslosigkeit mag mir dieser Song erst mal nicht vermitteln, schon allein deswegen weil mir die komplexeren Songstrukturen von verschiedenen anderen Songs im Kopf rumspuken und ich nicht auf einen doch recht straighten Song gefasst war. Als Einstieg aber sicherlich eine doch recht vertretbare Lösung diesen Song zu wählen.

Beim zweiten Song, dem Titeltrack „Unkaputtbar“, kann man nach einmaligem Hören schon von einem Meisterwerk reden. Hier werden headbang-taugliche Strukturen mit zähen Melodien und einem „Breakdown-Refrain“ verbunden. Im Mittelteil kommt es zu großartigen Instrumentalpassagen in Form eines wahrlich großartigen epischen Solos von Haris Durakovic, wie es ein Ice Dale nicht hätte besser machen können - hier hat scheinbar jemand die „Vertebrae“-Scheibe richtig aufgesogen – sowie genial arrangierten Schlagzeug- und Basssequenzen. Ganz großes Kino!

„Stück für Stück“ gehört eigentlich zu den ganz alten Eisen und wurde schon auf dem aller ersten Auftritt zum besten gegeben. Allerdings wurde hier noch einiges verändert und umarrangiert. Zum Guten hin, glücklicherweise. Der Song beginnt mit filigranen Black-Metal-Harmonien, die hauchzart eine düstere Spannung erzeugen. Diese stehen im Wechsel mit wuchtigen Akkorden, unterlegt mit dem Gekeife von Sänger Bräunig. Nach diesem mächtigen Intro stampfen die Strophen nur so vor sich hin, ausgeschmückt mit kleinen Details und Spielereien. Die zweite Hälfte des Songs ist wahnsinnig geschickt arrangiert und mir stellt sich die berechtigte Frage warum dieser Song nicht bereits auf der ersten Demo seinen Platz gefunden hat. Eine böse Atmosphäre wird durch die Gitarre beschrieben wie sie wohl auch Negura Bunget gerne auf einem ihrer Alben hätte.

Aber typisch Misanthrop, auf die erzeugte Stimmung folgt ein kompletter Schnitt. Im 70er Rock-Style groovt der Bass, bis dann melodische Gitarrenharmonien einsetzen und eine Mischung aus der davor erzeugten Atmosphäre und dem Strophenriff das Tempo mitnimmt. Robert Bräunig setzt hier seinen Gesang klug ein. Und gibt den vielen verschiedenen Spuren genug Raum ohne selber die Präsenz zu vernachlässigen. Das Finale bildet eine schnell gespielte Version aus den melodischen Harmonien zu Nu-Metal-Drums. Schade finde ich, dass gerade dieses epische Ende recht dünn klingt und seine Wucht nicht richtig zum Zug kommt.

Der vierte Track „Abrechnung“ ist ein im Mid-Tempo, von Black Metal-Harmonien beherrschter und vielen Leadgitarrendetails angefüllter Stampfer. Vertrackte Taktspielereien geben dem ganzen die bestimmte Würze. Auch die Vocal-Arrangements machen Spaß. Enslaved-Fans kommen hier sicherlich auf ihre Kosten und auch für Musiker ist der Song ganz bestimmt ein riesiger Leckerbissen. Aber ansonsten schwimmt der Song doch nur vor sich hin. Schade, denn hier wurde zwar spürbar sehr viel an Arbeit hineingesteckt, aber das Resultat lässt im Bezug darauf zu wünschen übrig.

Doch zum Glück folgt darauf das, wie ich finde, Highlight des Albums. Ist jeder Song schon für sich ein Unikum, so sticht „So vieles“ trotzdem noch mal um ein ganzes Stück mehr aus dem Rest der Songauswahl heraus. Episches Riffing wird mit heroischen Melodien im Stil von Insomnium gepaart. Hypnotische, nachdenkliche Lyrics verstärken die melancholische Atmosphäre. Die Sologitarre vibriert sich vorsichtig und zerbrechlich durch die Stimmung und gibt dem ganzen noch die Piemontkirsche auf die Schlagsahne. Ein jeder Fan von Ghost Brigade wird begeistert sein.

Aber bevor die Melancholie überhand nimmt, tobt „Lepra“ kompromisslos wie schon der Opener durch die Boxen. Der Song ist ein offizielles Tribut an Dismember und fährt mit passenden Riffs und Leads auf. Man fragt sich zu Recht, ob Dismember diesen Song nicht irgendwann covern wollen. Definitiv ein gelungener Kracher, der live nicht wegzudenken sein wird.

Weiter geht es danach mit „Leiche im Dreck“. Das Intro wartet mit einer vertrackten Steigerung auf, abermals mit genialen Melodien und Harmonien und außerdem vertrackten Stakkato-Riffs. Die thrashige Strophe wird gekonnt mit verschiedenen Schlagzeugbeats angereichert, um dann wieder in die Intromelodie überzugehen die dann den Refrain bildet, der sich sogar als „Sing-a-long“ eignet. Am Ende wartet der Song mit einem erneut großartigen Solo auf.
Überhaupt, die Soli auf diesem Album zeugen von der enormen instrumentalen Weiterentwicklung von Gitarrist Durakovic. Waren die Soli auf der alten Demo reine Pflichterfüllung, so hören sie sich heute unerwartet intelligent an. Ein Aspekt mit dem ich nicht gerechnet habe. Umso mehr Spaß macht es, der Lead- und Sologitarre unbegrenzte Aufmerksamkeit zu schenken.

„Amokbahn“, lässt die zuckersüßen Melodien von „Leiche im Dreck“ allerdings sofort verblassen. Black Metal der fiesen Sorte macht jedwede Kapitulation sinnlos. Aber nach ein paar Takten groovt der Song wieder auf herrlichste „Hail of Bullets“-Manier. Erneut grandiose Leads! Das Finale erinnert dann wieder eher an die brachiale Gewalt von Pro-Pain. Der Dorn im Auge ist bei diesem Lied die Textarbeit von Bräunig sowie die Gesangslinie. Die Wortwahl ist phonetisch gesehen ein Desaster und die Refrains wirken gelangweilt vorgetragen.

Wenn Enslaved Death Metal spielen würden, wäre „Aufstand der Ratten“ eine schöne Blaupause dieses Stils. Erneut Misanthrop-typische schiefe Klänge. Dieser Song weist allerdings keine für mich relevanten Details auf, die nicht schon in anderen Songs Verwendung gefunden hätten. So handelt es sich für mich unter den Killern eher nur um einen Filler. Schade.

„ICH BIN SCHON FAST TOT!“ Mit diesen Worten startet dieser Knüppler. Endstille lassen grüßen! Hier wird herrlichst monotoner, rasend schneller und disharmonischer Black Metal zelebriert. Die zweite Hälfte beschäftigt sich dann wiederum mit allem außer Black Metal. Grooviger Midtempo-Death-Metal regiert hier und kippt die Stimmung vollkommen um. Auch kurze Stakkato-Schlagzeug-Bass-Passagen arbeiten sich wieder in die Struktur, mit einem Feeling das von Cathedral zu „Caravan“-Zeiten her rühren könnte. Es zeigt sich genau in diesen Momenten welch großartigen Bassisten Misanthrop mit Roßnagl in ihren Reihen halten, sein Spiel ist absolut bewundernswert. Auch dieser Song gehört schon eher zu den älteren Songs und wurde nun endlich auch in Pits und Lands verwandelt.

Das ganze Album habe ich vergeblich nach dem Doom der alten Misanthrop-Zeiten gesucht. Erst im letzten Track werde ich fündig. Tonnenschwere Passagen, die an Tryptikon oder die neuen Todtgelichter erinnern, wechseln mit experimentellen Instrumentalpassagen und langsamen, schweren, düsteren Melodien. Gegen Ende zieht aber das Tempo noch einmal an um dann in ein bedrohliches Outro überzugehen. Ein weiteres Highlight. Und ein glorreicher Abschluss.

Nach einer guten Stunde Ohrendemontage ist vor allem eins passiert. Meine Meinung von Misanthrop hat sich nicht verändert. Das riesige Potential ist nicht nur ausgeschöpft worden, sondern hat sich auch noch vergrößert. Man muss anmerken, dass es wohl immer schwierig sein wird, diese CD zu hören. Hier wird nicht gerade leicht verdauliche Kost geboten. Aber das liegt einzig an der Liebe zum Detail und am Mut zum Unkonventionellen. Hinzu kommt, dass dieses Album eine Fundgrube an Einflüssen aus allen möglichen Musikbereichen darstellt. Ich bin sicher, dass es noch einige Zeit und Musikwissen brauchen wird um allen Facetten der Kompositionen gerecht zu werden.
Von zwei, drei Songs abgesehen ist jeder Track für mich ein Glanzwerk und ohne Frage ist es der Band gelungen den bandeigenen Stil, Black und Death Metal miteinander zu verknüpfen, zu legitimieren. Vergleiche sind aufgrund des hohen Abwechslungsreichtums meist hinfällig, einzig neuere Enslaved sind vielleicht noch eine brauchbare Referenzquelle. Der Vergleich von den jetzigen zu den früheren Werken, im Bezug auf Komposition und Arrangement, zeigt auf, dass Misanthrop nun nicht mehr Gefahr laufen, scheinbar Riff an Riff zu reihen. Die Übergänge und Beziehungen der Parts untereinander sind schlüssig und gut ausgearbeitet.

Definitiv gewandelt hat sich allerdings auch die Produktion. War das erste Demo „Das Große Sterben“ noch räudig und old-school-lastig im Stil von Nihilist und Asphyx, so ist hier ziemlich viel geschehen und der Klang der Scheibe wirkt deutlich reifer. Die Demo zollte mit dem, an den Sunlight-Studio-Sound angelegten, tiefen kratzigen Grundklang, den Death-Metal-Helden der Stockholmer Szene Tribut. Doch auf „Unkaputtbar“ bedient man sich eines arg glattgefrästen Sounds, der eher höhenbetont ausfällt. Nachteil an der Sache ist, dass der Druck fehlt, der den Songs normalerweise zustehen würde.

Glücklicherweise konnte man sich schon davon überzeugen, dass Drummer Manuel Fischer die programmierten Drums nicht nur genauso tight wie ein Computer, nein sogar noch authentischer wiedergeben kann, das nächste Mal aber bitte echte Drums. Die Arrangements können trotzdem nicht Ur-Schlagzeuger Michi Schmied ersetzen. Sein individuelles und einzigartiges Schlagwerk ist beinahe unnachahmlich und es wird sich wohl als sehr schwierig gestalten, seinem Spiel jemals gerecht zu werden.

Beschäftigt man sich näher mit dem Gesang, so muss man leider feststellen, dass dieser auf dem gesamten Album zu leise und damit präsenzmäßig hintergründig erscheint.

Soviel zur technischen Seite, bestehen auch auf der kreativen Seite mehrere Mängel, so wirkt der Gesang auf Dauer wenig abwechslungsreich. Das Stimmspektrum weist im großen und ganzen einzig tiefe Death Metal Growlings sowie Eisregen-artige Krähenvocals auf. Diese sind zwar meist gut und richtig eingesetzt, jedoch würde mehr Mut zur Emotion und Spektrumserweiterung Robert Bräunig gut tun. Dass dazu im allgemeinen keine Verpflichtung besteht ist klar, jedoch kommt der Verdacht auf, dass der Vocalist auf Dauer der Entwicklung der Band nicht standhält.

Ebenso scheinen die Lyrics, die seit jeher respektablerweise alle auf deutsch verfasst worden sind, oft von der Wortwahl her recht stümperhaft verfasst. Die Phonetik ist das größte Problem. Es trübt das sehr gute Gesamtbild um ein Wesentliches, da die Art des Ausdrucks der Band einen plumpen Charakter verleiht, wenn es darum geht sich mit Thematiken auseinanderzusetzen. Eben auch hier wird die Arbeit dem Rest leider nicht gerecht.

Alles in allem kann man das Album folgendermaßen zusammenfassen:
Pro: Vielschichtige und intelligente Songs. Gefestigter eigener Stil.
Contra: Zu wenig druckvolle Produktion. Gesang ist nicht zufriedenstellend.

 

Anspieltipp: "Leiche im Dreck"                                                      Punkte: 8 von 10

Review von Surtr

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