Sólstafir – "Svartir Sandar"
Season of Mist/ VÖ: 14.Oktober 2011
Sólstafir! Seit ich diese Band das erste Mal live auf dem Party.San 2009 bestaunen durfte hat sich mein musikalisches Empfinden schlagartig verändert. Mit Swallow the Sun zusammen ist diese Formation aus Island die Combo, die bei mir in den letzten Jahren am meisten durch die Kopfhörer gejagt wurde. Zu magisch anziehend ist das Material, zu vielschichtig und zu einzigartig. Immer schon gewesen. Und das im Jahr 2011, in dem all die großartigen Gruppen, die in letzter Zeit oder erneut Geschichte schreiben, indem sie Metal auf eine neue Ebene hieven, neue Alben herausbringen, seien es Opeth, Insomnium oder Ghost Brigade, da ist es noch das I-Tüpfelchen auch von Sólstafir neue Kost serviert zu bekommen. Gleich zwei CDs nimmt das Album „Svartir Sandar“ in Anspruch. Zuviel Material ist entstanden, als dass es auf eine CD passen würde. Erwartungen habe ich keine, denn bei Sólstafir Erwartungen zu stellen stellt sich als hoffnungslos heraus. War doch schon das Album „Köld“ sehr sprunghaft. Wandelte man damals zwischen rockig-straighten Songs und atmosphärischen Klangwelten hin und her, so spare ich mir hier beim ersten Hören das Verlangen oder den Wunsch nach Klängen. Einen ersten Eindruck konnte sich der Fan ohnehin schon machen, war sowohl der Song „Fjara“ auf dem Seasons-of-Mist-Stream im Internet hörbar, so wurde der Song „Þín Orð“ auch schon auf der Tour mit Swallow the Sun Ende 2010 gespielt. Die erste CD beginnt mit dem Song „Ljós í Stormi“. Ruhig und gediegen ziehen sich Gitarren schimmernd ruhig und tief atmend in die Mitte und geben der Atmosphäre einen eigenen Anstrich. Bilder entstehen, mögen sie bei jedem anders sein, so ist jetzt bereits klar, bevor überhaupt etwas wahnsinniges passiert ist: Wir sind hier auf einer mentalen Reise und sobald es dann richtig losgeht, werden sich die Nackenhaare aufstellen und all die Freude und all die Erinnerungen die man jetzt bereits mit dieser Band haben konnte werden neu entfacht. Und was passiert ist glücklicherweise auch genau das. Der Song geht in einen rockigen Part über, wie er nur von Sólstafir stammen kann. Sofort fällt einem auf: Tata! Haben wir auf Köld bei „Goddess of Ages“ mit einem Iron-Maiden-lastigen Schlagzeug-Rhythmus aufgehört, so beginnen wir auf diesem Werk mit ebendiesem. Großartig treibt dieser Song auf Wellen der freizügigen Meditation und verbindet sich mit straighten Rockgitarren, die den stetigen Wechsel zwischen Ekstase und Realitätsbewusstsein steuern. Dazu der charakteristische Gesang von Aðalbjörn Tryggvason, der mit einer Melancholie herzzerreißend seine Texte in die Prärie schickt. Zwischen den Rock-Elementen finden sich doomige Soundwände, die durch phasende Chorus-Gitarren erzeugt werden und vom schrammelnden Bass begleitet werden. Immer wieder tauchen die langgezogenen Leadklänge auf, die für Sólstafir schon eine Trademark-Bedeutung haben. Allerdings ziehen sich, schon zu Beginn des Albums, die elf Minuten Songdauer ein wenig arg in die Länge, was den Song gegen Ende zäh werden lässt. Trotzdem ist der erste Eindruck großartig. Nach diesem gelungenen Auftakt kommt ein markanter Schnitt, denn gleich an zweiter Stelle findet sich der bereits bekannte Song „Fjara“ der für mich den Titel „Song des Jahres 2011“ mehr als verdient hat. Mit radikal simpel gehaltenem Schlagzeug beginnt dieses monumentale Meisterwerk und zwingt einem die Ruhe auf, die nach einer recht schnell gehaltenen Nummer nicht wirklich schmeckt aber umso mehr zur Konzentration ermahnt. Der Song steigert sich anfangs durch hinzukommende „bröckchen-speiende“ metal-untypisch verzerrte Gitarren. Der Bass bleibt erst mal still und erlaubt es so der Sentimentalität, die sich alsbald in der großartigen Gesangslinie wieder findet, vollen Raum zu lassen. Zuckersüß schmilzt die Melodie einem durch die Ohrmuschel, hinein in die Gehörgänge, um dort Erinnerungen an Lieder hervorzurufen, die man irgendwann mal gehört hat aber nicht drauf kommt, welche es sind. Denn irgendwo klingt der Song auch recht kitschig. Aber, glücklicherweise, weder penetrant kitschig, noch, dass er negative Reaktionen hervorrufen würde. Zu treibend ist auch der Rhythmus. So wie er beginnt, bleibt alles auch während den knapp sieben Minuten erhalten. Mantra-artig breiten sich Emotionen beim Hörer aus. So etwas ist wahre Kunst. Danach setzt sich das Album weiter fort und zeigt jetzt schon den Weg auf, dass der Hörer in eine Trance verfallen wird, mag er dem Album auch weiterhin lauschen. Der nächste Song ist wie bereits angedeutet auch kein absolut Unbekannter. „Þín Orð“ ist für mich eine Art Ritual, denn er besteht hauptsächlich aus mehreren Spannungsbögen die beliebig oft neu eingesetzt werden. Die Harmonien die in ihm verwendet werden, sind genial verpackt und schicken soviel Anteile von Natur-Epik aufs Spielfeld. Absolut beeindruckend. Ansonsten zählt er aber auch schon wieder zu den schnelleren Werken, so finden sich hier die schnellen (Ich hau' so laut wie möglich auf die Crash-Becken-) Drumtracks, die ich auch schon beim Song „Köld“ so beeindruckend fand wieder. Was den Gesang angeht wird hier eher im Mindestmaß agiert. Ein guter Song, nicht ein umwerfender, aber gut geeignet, die Stimmung auf Svartir Sandar zu umreißen. „Sjúki Skugginn“ folgt dem eingeschlagenen Weg, hält für mich außer den tollen stillen Momenten, in denen der Gesang völlig alleine im Raum steht, nicht viel an nennenswerten Überraschungen bereit. Anders da schon wieder „Æra“, das mich in den ersten Momenten an „Love is the Devil“ erinnert. Aber mehr noch als dieser kolossale Vergleich erwarten lässt, so beinhaltet dieses Lied erneut eine tolle Gesangslinie, die sich wieder mantra-artig durch den kompletten Song zieht, sich aber mit dem rockigen Anfangsriff immer wieder abwechselt. Zum Arrangement gesellt sich noch ein unkonventionell aber klug eingesetztes Xylophon (soweit ich das nach mehrmaligem Hinhören auch wirklich richtig deute). Die Betonungen im „Punktierte Viertel- punktierte Viertel -Viertel“- Schema sind erneut signifikant und lassen den Song erneut von einem Rocksong zu einem farbenprächtigen Akustikkino werden in dem die Riffs einen zum Schwimmen und sich Treiben lassen einladen. Passend gemacht der Übergang zum letzten Song „Kukl“ auf der ersten CD. Vom schnelleren „Æra“ geht man in ruhige Klavierakkorde und erneut holzige Xylophonklänge über. Dazu Keyboardstreicher, die den Grundrahmen für den Gesang liefern, der klagend schön seine Weisen vorträgt. Man neigt dazu den Mann mit geschlossenen Augen vor sich stehen zu sehen. Stark, aber zerbrechlich. Und von Sekunde zu Sekunde steigert sich das Bild zu einem abrupten Abstieg. Und so endet die erste CD. Schnell will man die zweite einlegen, denn die Spannung und die Träumerei haben sich gerade eben erst so richtig schön angefühlt. Der zweite Teil beginnt mit „Melrakkablús“, das mit einem Midtempo-lastigen einfachen melodischen Riff beginnt, nach einem kurzen Break aber die alten Black Metal-Facetten kurz aufflackern lässt. Die Akkordfolge scheint kurz bedrohlich zu sein, wird aber von heitereren Gitarren wieder gerettet. Die Alternativ Rock-Drums spielen mit dem Gesang, der mich stark an die moderne Semi-Ballade „Black Lodge“ der Anthrax erinnert, denn Tryggvason singt ähnlich, auf jeden Fall nicht weniger gefühlvoll wie einst John Bush. Mit der Zeit passiert einem sehr leicht genau dasselbe wie bei „Ljós í Stormi“. Der Song ist intelligent und stimmig angelegt, jedoch verliert man sich zu sehr in der Stimmung als dass man dem genauen Verlauf der Songs noch folgen könnte. Ob das gewollt ist, kann ich nur raten. Denn was die ersten Songs einem schon recht schnell verklickern konnten, wird hier mehr denn je auf den künstlerischen Aspekt, sich ein eigenes Universum zu erschaffen, Wert gelegt. Die psychedelische Schlagseite kommt zum Vorschein. Tauchten schon die ganze Zeit fantastische Bilder vor dem geistigen Auge des Hörers auf, so bekommt man gerade bei Songs wie „Melrakkablús“ die Eintrittskarte in die Hand gedrückt, in den Zirkus der großen schönen Momente einzukehren und sich zwischen Faszination und Bewunderung zu verlieren. Die drei zusammengehörigen Songs „Draumfari“, „Stinningskaldi“ und „Stormfari“ sind erst mal nur instrumental gehalten. Sie sind wie schon davor „Melrakkablús“ sehr stark darauf ausgerichtet psychedelisch zu verführen und Traumwelten heraufzubeschwören. So kommen hier sowohl Synthesizer zum Einsatz, als auch ein verstörend wirkendes Sprachsample, in Form eines, nun ja, ich weiß nicht wieso aber, in Form eines Wetterberichts. Der letzte Teil „Stormfari“ rockt dann wieder mit gewohntem typischen Gesang durch die Ohren. Der letzte Kracher findet sich in Form von „Djákninn“ wieder. Delay-Gitarren wuseln sanft verzerrt durch raue Natur und erzählen ihre eigene Geschichte, bis der Song zu einer Pink- Floyd-anmutenden schnellen Rutschpartie mutiert. Neben dem simplen Schlagzeug seilt sich leichte Percussion in Form von Tambourinen durch den Takt. Ohne viel Gesang surren die Instrumente mit einer leichten Affäre zur norwegischen Avantgarde-Black- Metal-Parade und viel Mut zu unertastbaren Leadgitarren auf dem Wah-Wah-Effektgerät. Eine Steigerung wie sie auf dem glanzvollen „I Myself the Visionary Head“ bisher gefällt hat, nun aber endlich hier neu aufgerollt wird. „Jammen für die Leidenschaft“ könnte man die langen, langen Minuten nennen, in denen soviel und doch gleichzeitig gar nichts passiert. Großartiger perfekter Abschluss. Dieses Album ist, man merkt es an meiner Schreibweise, ein Album für Träumer, für Romantiker, für Poeten. Es erzeugt soviel an Inspiration. Bilder werden lebendig. Kino für die Sinne, wobei der Anreiz und die Idee von Sólstafir, das Drehbuch von einem selbst erzeugt wird. Eingehend ist das ganze, von „Fjara“ mal abgesehen, beileibe nicht. Ein jeder Fan der Band wird hier auch bei Sympathie ordentlich zu beißen haben. Anderen Hörern wird es nicht viel besser ergehen, denn die Vielschichtigkeit, die diesem Album ohne Frage obliegt ist schwer zu erfassen und auf den ersten Höreindruck nicht wirklich erkennbar. Trotzdem: Dieses Album bietet einiges an großartigen Momenten. Die Verbindung von Komplexität, einfachem Spiel, „jammen“ während des Songs, expressionistischer Klangkunst, all das ist auf einem Level, der „vor der Zeit“ stattfindet. Das bedeutet: Das was Sólstafir da geschaffen haben ist heutigen Maßstäben und Erwartungshaltungen nicht angepasst und wird sich vielen Hörern erst in Zukunft erschließen können. Dieses Album ist definitiv seiner Zeit voraus. Die Produktion der Scheibe ist im Vergleich zum geschaffenen Standard von Köld stark runtergeschraubt worden. Der Sound ist ruppiger, rauer und weniger filigran als auf dem Vorgängeralbum. Das prägt das rudimentäre Image von Sólstafir als „Cowboys from Islandic Hell“, beziehungsweise als „Antichristian Islandic Heathen Bastards“ wie sie sich selbst immer noch bezeichnen. Der Bezug zu rauen Tönen die sich mit zuckersüßen Melodien paaren... genau das würde durch eine Produktion wie sie auf Köld geboten wurde zu sehr untergehen. Von daher ein Pluspunkt für die gewagte Produktion, die fett hätte sein können es aber im Nachhinein nicht ist. Trotzdem fehlt mir trotz dieser Umstände auf dem ganzen Album die Snare. Wer sie findet, darf sie mitnehmen, ich höre fast gar nichts von dieser. Fazit: Nach „tausendfachem“ Hören mag die Scheibe immer noch nicht hundertprozentig funktionieren, trotzdem ist dieses Album fast hundertprozentig perfekt. Und allein, dass es so lange dauern mag, ist der einzige signifikante negative Aspekt. Anspieltipp: "Fjara" Punkte: 9 von 10 Review von Surtr
|