Waldgeflüster – "Herbstklagen"

Black Blood Records/ VÖ: 27. Februar 2009

Eine Soundkulisse aus heftigen Winden, Hörnern und Krähen öffnet das Album „Herbstklagen“ der Rosenheimer Band "Waldgeflüster". Das Ganze nennt sich dann „Sommerabend“ und ist die Einstimmung in ein Konzeptalbum der Sonderklasse.
Das zweite Stück „Herbst befiel das Land“ ist ein wuchtiges Stück mit schweren, tiefen Gitarrenlinien (ab und zu unterbrochen von kurzen Einschließungen akustischer Gitarrenmelodien), in welchem in deutscher Sprache und mit wortgewaltigem Aufwand die Erinnerungen eines Kriegers im Herbst besungen werden. Dieses recht lange Stück bedient sich einschneidender, berührender Melodien ummantelt in melancholischem, hämmernden Erinnerungsschmerz, der in den orkanartigen Gitarrenklängen symbolisiert ist. 

Jedes der voll auskomponierten Stücke trägt den Zusatz „Klage“ vor’m eigentlichen Titelsong, so heißt der dritte Song „Klage III – Wolfsgeheul“. Dieser wird etwas unbequem eröffnet (durch experimentelle Strukturen, die meiner Meinung nach durch etwas Aufdringlichkeit den Fluss des Hör-Genusses stören, auch wenn sie vielleicht einzigartig sind), doch dann finden auch hier die Melodien den Weg zurück in’s Konzept der temporeichen Schwere und bedrückenden Intensität. 
So schwer verdaulich der Beginn des „Wolfsgeheuls“ war, umso besser geht der Anfang des sehr langen Stücks „Klage IV – Wotan sang“ in’s Ohr. Dieser Track ist, was ich ein Meisterwerk nenne. Hier stimmt fast alles. Heidnisch ernsthafte, von Herzen gelebte Lyrics in Gedenken an Wotan. Ich könnte weinen, wenn ich die Lyrics lese. Nur Menhir haben (bisher) je ergreifendere Liedtexte geschrieben. Und ... um es vorweg zu nehmen: Textzeilen wie "Herrschen würd des leid'gen Sohnes Herde" ist antichristlich gemeint... versucht gar nicht erst, was anderes reinzuinterpretieren!
Zwar höre ich einige Unregelmäßigkeiten vom Schlagzeug in diesem Song, doch das geht einfach nur unter in den ansteckenden, fast traurig stimmenden Melodielinien, die mit düsterer Impulsivität dahinschwimmen (in Refrain vielleicht kurzzeitig sogar zu temporeich und überladen). Der Gesang ist speziell hier aller erster Güte, voller Emotionen und Hingabe. 
„Klage V – Herbststürme“ leitet durch anfangs sanfte Klänge und dann tragende Instrumentalkompositionen in den zweiten Teil des Albums über. Es ist recht passend platziert, denn nach dieser brachialen „Klage IV“ braucht man ein paar Minuten, um wieder runterzukommen, was durch das Instrumental gelingt.

„Klage VI – Von Einsamkeit...“ beginnt mit ergreifenden Klavierklängen, die mit dem Geräusch von heftigem Regen unterlegt sind. Wäre das Stück länger, könnte man sich dazu hervorragend tragen lassen und vor sich hinträumen. Doch auch dieses Stück geht alsbald in die berührende Konzeptmanier über. Wobei es doch anders ist. Nicht dadurch, dass die Regengeräusche (bzw. könnte es auch der Klang eines Baches im Regen sein) immer mal wieder durchdringen, von der akustischen Gitarre begleitet, sondern durch den Gesang. Hier vereint sich klarer Gesang im stimmlich mittleren Bereich mit tiefem Growling. Beide Stimmen singen stellenweise zeitlich etwas versetzt und doch im Einklang und bringen uns durch intensive Leidenschaft die beseelten Lyrics nahe. 
„Klage VII – Herbstlich Wanderung“ tritt leider etwas zurück hinter den anderen Stücken und kann nicht mithalten, obwohl es trotzdem noch wuchtig ist (und im Mittelteil einige melodische Extras bereithält).
Das ganze Werk kommt übrigens ohne Bass aus. Tiefe Töne und Hintergrundlinien werden durch die zweite Gitarre erzeugt. Stilistisch ist es nicht wirklich einzuordnen (weshalb es die meisten wohl der Einfachheit wegen als „BM“ bezeichnen werden). Ich würde es spontan als mitreißend-melodische Pagan-Wucht bezeichnen ... wobei das natürlich kein Genre ist ;-)

„Klage VIII – Erster Schnee“ ist ein anfangs schnelleres Stück, welches später eher beruhigend wirkt (auch wenn das Hauptthema immer mal wieder durchdringt und in’s leicht Melancholische abgleitet). Da der Song etliche Disharmonien enthält (die allerdings wohl beabsichtigt sind und Schmerz symbolisieren sollen), ist er streckenweise etwas gewöhnungsbedürftig, stellt dadurch aber auch eine gewisse Abwechslung dar.
„Klage IX – Wintermorgen“ beginnt überraschend positiv und lebensfroh. Wie ein neuer Morgen eben, ein klarer Wintermorgen (auch als Metapher für Lebensabschnitte oder Abschnitte in der Geschichte). Das ganze Stück kommt mit akustischen Gitarren und nur 4 Textzeilen aus und lässt das Album auf entspannte Weise ausklingen, versöhnlich auf den Schmerz zurückblickend, da dieser die Schöpfung neuer Hoffnung mit sich bringt. 

Die Gestaltung des Booklets ist wunderschön, mit atemberaubenden Naturfotos verschönert (was die Inhalte perfekt unterstreicht) und die durchgängig deutschsprachigen Lyrics sind in kunstvoller Schriftart abgedruckt. Auch stelle ich beim Lesen des Booklets fest, dass die ab und an eingestreuten Flötentöne von „Herbstklagen“ von einem „alten Bekannten“ stammen, nämlich von Max von Helfahrt. Allerdings nur in der Funktion als Gastmusiker. Er gehört nicht zur Live-Besetzung der Band.

Insgesamt ist dieses Album eine absolute Überraschung für mich. Es gibt doch noch junge, aufstrebende Bands (bzw. Künstler, denn Sänger Winterherz dürfte hier die hauptsächliche treibende Kraft sein, zumal er auch Initiator und Songschreiber des Ganzen ist), die begabt und voller Hingabe sind. Mit „Herbstklagen“ wurde richtig fantastische Kunst durch Musik erschaffen (Punkteabzug gibt's nur für einige instrumentelle Unstrukturiertheiten bzw. Aufnahmemängel, rein das Songwriting und die Hingabe hätten volle Punktzahl verdient, genau wie die Lyrics).  
Mit Sicherheit wird dieses Album meinen CD-Player so bald nicht mehr verlassen. Unbedingt reinhören!

 

Anspieltip „Wotan sang“                                                                                9,5 von 10 Punkten

Review von Twilightheart

Waldgeflüster live:

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