Waldgeflüster – "Femundsmarka"

Black Blood Records/ VÖ: 27. Mai 2011


Diejenigen unter euch, die das erste Album von Waldgeflüster, „Herbstklagen“, kennen, werden mir zustimmen, wenn ich sage, dass man sich eigentlich nicht vorstellen kann, dass ein Nachfolger dies noch toppen könnte. Waren doch einige Harmonien auf „Herbstklagen“ so intensiv, dass man in ihnen hätte versinken können, und ich meine, der Song „Von Einsamkeit...“ lief bei mir schon einige hundert Male, und jedes einzelne verdammte Mal war er wieder über alle Maßen ergreifend. Ich sah dem neuen Album „Femundsmarka“ also mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Mit dem lachenden, weil es natürlich an der Zeit für neue Musik war und ein weiteres Album (auch wenn anders oder sogar schlechter als das erste) nur eine Bereicherung darstellen kann, und mit einem weinenden Auge, weil natürlich die Gefahr besteht, dass das neue Album entweder doch ein Abklatsch des ersten ist, oder aber (um vorher genanntem vorzubeugen) so anders ist vom Stil her, dass es mich nicht mehr berührt. Aber in jedem Fall war die Freude gewaltig, als mir die Vorab-Promo zuging. Bedenken hin oder her... ich ging auf die musikalische Reise nach Femundsmarka. Dieses Gebiet in Norwegen am See „Femund“ ist (wie viele andere Gegenden Norwegens übrigens auch) wunderschön. Seen, Wälder, Gebirgsflächen, viele Tiere, also einfach die volle Wucht der Natur berauben die Wanderer ihres Atems. Die Reise durch die Femundsmarka bzw. die dadurch entstandenen Eindrücke und Gefühle wurden auf gleichnamigem Album in 3 Kapiteln vertont, wobei die beiden Schöpfer des Albums (Winterherz und P.) selbst zugeben, dass es nur bei Eindrücken bleiben kann. Manches, was man in unberührter Natur sieht und aufnimmt, kann niemals durch Worte ausgedrückt werden. 

Das Album beginnt mit dem Prolog „Aufbruch“, in dessen anfänglichen rastlosen Gitarrenriffs eine gewisse Aufgeregtheit versteckt zu sein scheint. Später beruhigt sich das Ganze, der pure, vorwiegend rein akustische Gitarrenklang wird kurzzeitig nur begleitet von den Geräuschen der Schritte zweier Wanderer. Die Reise beginnt also. Die Neugierde auf das, was da kommen mag, wird geweckt. 

Nach diesen zumeist sanften Klängen kommt einem der Beginn vom Kapitel 1 „Seenland“ beinahe etwas grob vor, denn ohne Vorwarnung setzt die volle BM-Instrumentierung ein, wobei sich sofort eine besondere Hauptharmonie ausbreitet, die auch in den schnellen, durch harte Schlagzeuglinien und eher raue Gitarrenwände getragenen Parts immer einen gewissen wehmütigen Touch behält. Wie ein Band aus Hochachtung vor der Natur zieht sich dieses Thema durch die fast epische Komposition, die mal tragend und melodisch, mal forsch und voranschreitend ist. In den Lyrics wird der Weg durchs Seenland beschrieben, aber auch Gedanken zu Aufbruch, Sinn und Rückblick, und am Ende steht der Wille, den begonnenen Weg unbedingt weiter gehen zu wollen, um alles zu erkunden, was das Land noch zu bieten hat. Dieses gipfelt gegen Ende des Songs in einem Part, in dem die Musik zurückgenommen wird und vordergründig nur noch einer der zwei Vokalisten zu hören ist, der mit übersteuerter, sich fast heiser überschlagender Stimme immer wieder „Seenland“ ausruft, bis man die Faszination und Ehrfurcht vor der Natur lebendig vor Augen hat. 
Übrigens sind die Kompositionen bis hierher zwar von der Melodie und der Umsetzung her anders als auf dem ersten Waldgeflüster-Album, aber trotzdem haben es Winterherz & Co. geschafft, sich ihren ureigenen Stil zu bewahren. Das gewisse Etwas, was man nicht beschreiben kann, was aber typisch für die Band ist, kommt immer wieder durch. Ich kann es selbst nicht in Worte fassen, was die Musik Waldgeflüsters so speziell macht. Vielleicht ist es ihre Art der atemberaubenden Inszenierung großer Eindrücke und Gefühle, die trotzdem weit entfernt ist von Kitsch und Pseudo-Pathos. Auf die Spitze getrieben, aber trotzdem nicht übertrieben. 
Was im Vergleich zum Vorgänger-Album gewöhnungsbedürftig ist, ist die teilweise gesangliche Veränderung. Zwar growlt Mastermind Winterherz großteils noch immer inbrünstig, aber der Klargesang mit Unterstützung von P. ist etwas roher, nicht mehr ganz so unschuldig wie manchmal auf „Herbstklagen“. Aber dadurch bekommt das Album einmal mehr seinen eigenen Charakter. 

Das Interludium „Rast“ gewährt nun eine kurze Verschnaufpause. Weiche, aber gleichzeitig kühle Klänge, getragen von den Geräuschen fauchenden Windes mit alsdann beginnendem Regen, lassen den Hörer vor sich hin träumen. Dieses gnadenvolle Eingeschlossensein in dieser beruhigenden aber gleichzeitig faszinierenden Momentaufnahme einer Naturstimmung ist leider von viel zu kurzer Dauer.

Mit voller Wucht setzt das Kapitel 2 „Steinwüsten“ ein. Mit gesprochenen Passagen als Hintergrund-Sample wird das Stück eröffnet. Alle Instrumente setzen so ein, dass man sich vom ersten Moment an in einer unbändigen Urgewalt wiederfindet. Man wird mitgerissen von diesem tieftönenden Getöse und dem enthusiastischen, manchmal beinahe martialischen Gesang. Nur kurzzeitig gibt es ruhigere Stellen, doch selbst die haben einen Beigeschmack von Anstrengung und Verzweiflung, realisiert durch schneidende Klänge und manchmal apathisch anmutende Tonfolgen.

Das „nur“ als Interludium gekennzeichnete Stück „Nacht“ ist keineswegs nur ein Zwischenspiel. Vielmehr ist es eine unglaubliche Kreation, die mich schier umhaut. Fans von „Austere“ werden hier aufhorchen. Zwar wird nicht so bestialisch geschrieen wie bei den Australiern, aber Parallelen gibt es trotzdem. Hochemotionales, steinerweichendes Schreien dominiert die gesamte Komposition. Dazu gibt es eine melancholische, düstere Instrumentenkulisse, die die Wirkung einer Nacht im Freien widerspiegeln. Absolut überraschend, so etwas von Waldgeflüster zu hören. Aber das Stück ist so gelungen, dass man es immer wieder anhören muss. Absolute Suchtgefahr!

Auf das dritte Kapitel „Fichtenhain“ will ich nicht näher eingehen. Es soll ja auch etwas bleiben, was jeder unvoreingenommen für sich selbst entdecken kann. Nur soviel sei gesagt: hier gibt es Elemente, die man so sicher nicht erwartet hätte. Vielleicht stellenweise sogar etwas sperrig, aber mit Sicherheit bietet auch dieses Stück genügend Potential dafür, dass Ohr und Geist ordentlich was zu tun haben. 

Der Epilog „Heimkehr“ ist in den moderaten Passagen sehr gefühlvoll gehalten und setzt sich in den schnellen Teilen genau mit den gegenteiligen Gefühlen des Prologs auseinander, denn jetzt liegt die Aufgewühltheit darin begründet, dass man sich einerseits auf die Heimkehr freut, andererseits euphorisch ist wegen des Erlebten und überwältigt von der mächtigen Erfahrung, aber auch wehmütig wegen dem, was man zurücklässt. Und so finden Reise und Album ihr Ende.

Was die Texte betrifft, so fällt es mir schwer, jetzt keine Vergleiche zu „Herbstklagen“ zu ziehen, welches ein paar Lyrics enthielt, die mich atemlos machten. Auf „Femundsmarka“ geht es wirklich nur um die Natur und die auf dieser Reise durchlebten Emotionen und Eindrücke. Einzelne lyrische Meisterwerke wie auf „Herbstklagen“, in denen der Schmerz eines ganzen Lebens eingefangen zu sein scheint, oder diese ganz großen Rückblicke auf die Geschichte/den Glauben/die Mythologien der Menschen wie in „Wotan sang“ fehlen auf dem neuen Album. Wobei das mit Sicherheit so gewollt ist, schließlich geht es auf „Femundsmarka“ nur um diese eine Reise, nicht um ein Fazit zur Menschheitsgeschichte. Insofern sind die Lyrics auf dem neuen Album entsprechend puristischer gehalten, man kann sich treiben lassen von einfacher, aber passender Wortwahl, die die jeweilige Gedanken- oder Stimmungslage bzw. Landschaft beschreibend wiedergibt. 
Verbildlicht wird Letztgenannte durch wunderschöne Fotos/Naturaufnahmen im Booklet, allerdings alle ein wenig gedämpft gehalten. Passend dazu gibt es eine nostalgische Schriftart sowie eine Zeichnung im Tolkien-Stil vom Gebiet der Reise auf diesen mit viel Hingabe gestalteten Seiten.

Wie schon das letzte Album ist auch „Femundsmarka“ eines, was bei jedem Hören Neues offenbart. In sich zwar konzepttreu, aber doch so variiert und voller Inspiration, dass man in jedem Song auch nach vielen Durchgängen noch Interessantes entdeckt, was im Fluss des Hörens früher vielleicht untergegangen war. Hauptsächlich wird man nämlich nicht drum’rum kommen, sich dem Rausch der Emotionen hinzugeben und sich von den mal kraftvollen, mal melancholischen Harmonien treiben zu lassen.

Es ist eigentlich nicht zu fassen, dass Waldgeflüster auch mit dem zweiten Album ein solch fesselndes Werk abgeliefert haben. Mir war bereits nach dem ersten Hören bewusst, dass dieses Album demnächst meinem CD-Player über alle Maßen viel Arbeit und mir akustischen Rausch vom Feinsten bescheren wird. Waldgeflüster sind die bisher einzige „Newcomerband“ (sofern man sie noch als solche bezeichnen kann), die bei mir jemals fürs  erste Album 9,5 von 10 Punkten erhalten hatten. Im Nachklang (im Hinblick darauf, dass das Album bei mir beinahe öfter lief als Menhir’s „Hildebrandslied“) war ich manchmal geneigt, nachträglich die Punkte auf 10 von 10 hoch zu setzen. Bei „Femundsmarka“ mache ich es besser gleich richtig, weiß ich doch, dass mir das Album trotz einiger Ecken und Kanten viele Emotionen und unzählige Stunden des musikalischen Hochgenusses schenken wird. Ein atemberaubendes Werk, das lange nachwirkt!

Anspieltipp: "Interludium II: Nacht"                                                               Punkte: 10 von 10

Review von Twilightheart

 

Waldgeflüster live:

<<<zurück zu den "Reviews"

 

besucherzählerXStat.de